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Interview mit meiner Inneren Stimme #9: Die Kunst zu vergeben (Teil 1 von 3)

Meine Innere Stimme hat mir vorgeschlagen, Interviews zum Thema Verzeihen durchzuführen.

Meine erste Frage lautete deswegen: Warum?

Innere Stimme: Verzeihen können, zählt zu den wichtigsten Fähigkeiten, um im Leben zurecht zu kommen. Viele Eurer seelischen Schmerzen beginnen augenblicklich zu heilen, sobald Ihr verzeiht. Allerdings stellt echtes Verzeihen eine große Kunst dar, die erlernt werden möchte.

Was heißt echtes Verzeihen? Gibt es auch ein falsches?

Innere Stimme: Leider ja. Viele Vorstellungen, die Menschen wegen der Vergebung hegen, sind falsch beziehungsweise unvollständig. Verzeihen ist zum Beispiel kein Nachgeben oder Schließen eines Kompromisses, um des lieben Friedens willen. Verzeihen ist auch keine noble Handlung, die Euch moralisch adeln würde. Und schon gar nicht stellt Verzeihen ein Zeichen von Schwäche dar, wie nicht gerade wenige Menschen glauben. Im Gegenteil: Verzeihen ist ein enorm kraftvoller Akt, der in sehr vielen Fällen mit einem starken Wachstumsprozess verbunden ist, der Euch und Euer Leben auf eine neue Ebene zu heben vermag.

Ok, dann verrate mir, wie Verzeihen funktioniert.

Innere Stimme: Bitte gestatte mir, die Lösung in drei verschiedenen Interviews darzulegen – denn das Thema ist vielschichtig. In diesem ersten Interview möchte ich eine Skizze vorstellen, was Verzeihen alles umfasst und warum Euch Vergebung manchmal so schwer fällt. In den beiden darauf folgenden Interviews werde ich dann vier Stufen vorstellen, die ein echtes Verzeihen ermöglichen.

Was sind das für vier Stufen?

Innere Stimme: Fühlen, Verstehen, Verzeihen und gegebenenfalls Versöhnen. Aber um zu begreifen, was es mit diesen Stufen genau auf sich hat, lass uns zunächst anschauen, was  vor dem Verzeihen kommt: Das »Zeihen«.

Zeihen ist ein altdeutsches Wort, das für »bezichtigen« steht.

Zeihen ist also der Akt der Bezichtigung, dass Euch jemand Anderes Unrecht angetan hat. Und Verzeihen ist demnach eine Rücknahme genau dieser Bezichtigung.

Während Euch das Zeihen schwächen kann, wird Euch das Verzeihen stärken – immer vorausgesetzt, Ihr lasst keine der vier Stufen aus.

Das klingt für mich sehr abstrakt. Kannst Du das mal anhand von einem konkreten Beispiel erläutern?

Innere Stimme: Gerne. Tatsächlich möchte ich den Prozess der Vergebung sogar anhand von zwei Beispielen erläutern.

Nehmen wir als Erstes an, dass Du Deine Partnerin dabei erwischt, wie sie Dich mit einem anderen Mann betrügt und als Zweites, dass Dich jemand körperlich verletzt – in einer Prügelei, bei der Du einen Mann gegen rechtsradikale Schläger zu verteidigen versuchst.

Das sind aber krasse Beispiele.

Innere Stimme: Je größer der Schmerz in einer gegebenen Situation ausfällt, desto versierter müsst ihr in der Kunst des Verzeihens sein.

Gut, dann los.

Warum Erinnerungen manchmal so schwer zu verzeihen sind

Innere Stimme: Um zu verdeutlichen, was mit Vergebung verbunden ist, werde ich mich einer Metapher aus der Welt der Computer bedienen. Denn jede Erfahrung, die Du erlebst, wird als Erinnerung in Deinem Gehirn gespeichert. Man könnte sie also mit einer Datei gleichsetzen, die Du auf der Festplatte Deines Computers sicherst.

Die meisten Dateien wiederum bestehen einerseits aus Rohdaten und zum anderen aus sogenannten Metadaten. Ein digitales Foto zum Beispiel enthält nicht nur die Bits und Bytes für das Bild selbst, die Rohdaten, sondern auch zusätzliche Angaben wie zum Beispiel der Name der Datei, das Erstellungsdatum, Angaben zum Ort, wo das Foto geschossen und welche Kamera dafür benutzt wurde. Das sind die sogenannten Metadaten – Informationen, die zu der Datei gehören.

Das gleiche gilt für Eure Erinnerungen, die ebenfalls aus Roh- und Metadaten bestehen.

Nimm zum Beispiel das Fremdgehen: Als Du Deine Partnerin in unserem hypothetischen Beispiel beim Fremdgehen ertappt hast, wurden als Rohdaten nicht nur all die visuellen Informationen abgespeichert, also alles, was Du in der Situation mit ansehen musstest, sondern auch die Worte und Geräusche der Beiden sowie das schmerzliche Gefühl in Deiner Magengegend, das Du dabei empfunden hast.

In manchen Fällen kann die Erfahrung so intensiv sein, dass Dein Gehirn beim Abspeichern überfordert ist und es die Inhalte unvollständig oder so verdreht sichert, dass Du Dich vielleicht nachher nur noch an bruchstückhafte Sequenzen erinnern kannst – gepaart mit dem Schmerz, den Du dabei wahrgenommen hast.

In anderen Fällen kann es jedoch passieren, dass Du die Erinnerung so klar abrufen kannst, als ob sie eben gerade geschehen wäre.

Kannst Du mir soweit folgen, was die Rohdaten einer Erinnerung angeht?

Ja. Und die Metadaten sind Angaben, wo und wann das Ganze geschehen ist?

Innere Stimme: Auch, aber nicht nur. Denn zusätzlich zu den faktischen Angaben wird noch deutlich mehr gespeichert. Zum Beispiel Deine Interpretation, warum Du die Erfahrung machst.

Das Fremdgehen könntest Du beispielsweise als persönliche Niederlage interpretieren. Du könntest auf die Idee kommen, dass Dich Deine Partnerin betrügt, weil Du nicht attraktiv oder liebenswert wärest. So käme zu der Erfahrung, Deine Partnerin in flagranti erwischt zu haben, nun noch der Kummer von Selbstzweifeln hinzu. Dadurch wird die Erinnerung nachträglich von Gefühlen eingefärbt, die nicht der Situation selbst entspringen, sondern den Gedanken, die Du dazu denkst.

Du meinst, ich habe den Schmerz selbst gemacht?

Innere Stimme: In dem Fall ja. Aber bei der Schlägerei läge der Fall anders, weil Dir jemand tatsächlich realen Schmerz zugefügt hat, der eindeutig zu den Rohdaten zählt. Allerdings könnte es auf der Ebene der Metadaten durchaus positive Gefühle geben, die den körperlichen Schmerz beschwichtigen oder gar irrelevant machen.

Was bitte schön soll an einer Schlägerei Positives sein?

Innere Stimme: Zum Beispiel das Gefühl, mutig gehandelt zu haben. Du könntest die Gemengelage mit den Rechtsradikalen so interpretieren, dass Du für Deine politischen Ansichten eingestanden bist und zugleich Schaden von einem Anderen abgewendet hast.

Du willst also darauf hinaus, dass wir beim Verzeihen nicht nur die Erfahrung selbst berücksichtigen, sondern auch das, was wir in sie hinein interpretieren?

Innere Stimme: Ja, wobei es mit der Interpretation allein nicht getan ist. Denn in der Regel stattest Du wichtige und einschneidende Erlebnisse noch mit weiteren Metadaten aus. Zum Beispiel legst Du fest, was Dir daran wichtig war – also welche Werte Du mit der Erfahrung verbindest.

Beim Fremdgehen könntest Du den Wert der Treue missachtet sehen. Bei der Schlägerei würdest Du das Prinzip der Gewaltfreiheit bedroht sehen, während Du mit Deiner Schutzmaßnahme Integrität oder Hilfsbereitschaft verbinden könntest. Jeder hat andere Werte, aber jeder empfindet eine Verletzung ihrer Werte als negativ und ein Bewahren als positiv.

Hinzu kommt, dass Du aufgrund der Erfahrungen oft Überzeugungen zu bilden beginnst, die Dein weiteres Denken und Handeln maßgeblich beeinflussen können. Wenn Du denkst, dass Du nicht liebenswert bist, wird das auch zukünftige Beziehungen belasten. Oder wenn Du aus der Prügelei den Schluss ziehst, dass alle Rechtsradikalen Schläger seien, wird es Dir schwer fallen, bei der nächsten politischen Demo entspannt zu bleiben. Deine Angstgefühle könnten Dich dazu verleiten, bei etwaigen verbalen Konflikten unangemessen aggressiv zu reagieren.

Schlussendlich gesellen sich zu den Interpretationen, Werten und Überzeugungen gesellen noch Entscheidungen hinzu: »Ab jetzt werde ich mich in Beziehungen nicht mehr richtig einlassen« oder »Das nächste Mal nehme ich zu einer Demo Pfefferspray mit«.

Das klingt ziemlich kompliziert.

Innere Stimme: Ich würde soweit gehen, dass es sich nicht nur um etwas Kompliziertes, sondern um etwas Komplexes handelt.

Was ist der Unterschied?

Innere Stimme: Komplizierte Sachverhalte können mit dem entsprechenden Wissen auf Verstandesebene gemeistert werden. Komplexe Herausforderungen kann der Verstand nicht mehr kontrollieren, weil alle Elemente vielschichtig miteinander verbunden und deswegen für ihn unsteuerbar sind.

Alle Erinnerungen zum Beispiel, die mit Betrug in Beziehungen zu tun haben, sei es in Form von Lügen, Diebstahl und anderen Tricksereien, landen in einem Ordner, in dem auch weitere Informationen gespeichert werden: Texte, die Du zu den Themen gelesen, Filme und TV-Serien, die Du darüber gesehen oder Gespräche mit Freunden, die Du deswegen geführt hast.

All diese Dateien werden miteinander vernetzt, so dass sie sich gegenseitig zu beeinflussen vermögen. Das Fremdgehen in einer romantischen Beziehung könnte zum Beispiel mit geschäftlichen Betrügereien in Verbindung gesetzt werden, woraus wiederum ein vielschichtiges Weltbild entstehen könnte, das besagt, dass man Menschen ganz allgemein nicht vertrauen kann.

Wenn Du dann Deiner Partnerin das Fremdgehen vergeben möchtest, hättest Du es also nicht nur mit der einen Erfahrung zu tun, sondern mit einem ganzen Konglomerat von Gedanken, Glaubenssätzen, Erinnerungen, Thesen und Theorien, sowie einem oft verwirrenden Gemengelage von Gefühlen und Empfindungen. Und solange die Verbindungen und Querverweise nicht aufgelöst sind, ist die Erinnerung quasi mit einem Schreibschutz versehen, der ein echtes Verzeihen verhindert.

Oh, je.

Innere Stimme: Und doch ist es notwendig. Denn im Laufe der Zeit sammeln sich immer mehr Ordner mit schmerzlichen Dateien an, die nicht nur Deine psychische Verfassung negativ beeinflussen, sondern auch Dein körperliches Wohlbefinden. Mehr noch: Je trüber Dein Weltbild, desto destruktiver können Deine Entscheidungen und Handlungen sowie deren Folgen ausfallen. Du könntest Dich in eine Kette aus Prophezeiungen verstricken, die sich allesamt immer wieder selbst erfüllen und dadurch weiter verstärken.

Aber wie kann ich dem Teufelskreis entfliehen?

Innere Stimme: Es gibt einen Weg da raus: Die 4 Stufen. Wie sie genau funktionieren, werden wir in den beiden folgenden Interviews besprechen.

Beim nächsten Mal werden wir das »Fühlen und Verstehen« erkunden und in dem Interview danach werden wir uns dem »Verzeihen und Versöhnen« widmen. 

Weiter zu Teil 2.

Tipp:
Wenn Dich das Interview neugierig gemacht hat: Im Big Shift Buch erfährst Du mehr.

14 Kommentare

  1. Boah Martin: Jetzt hast Du mich echt neugierig gemacht.

    Das ist ein echt starker Einstiieg in das Thema.

    Ich bin wirklich gespannt, wie es weitergeht.

    Antworten
  2. Manchmal geht das nicht.

    Antworten
  3. ja , das kann ich voll nachvollziehen, ich Versuche schon seit einiger Zeit Verletzungen zu vergeben und immer, wenn ich glaube es geschafft zu haben, wird mir klar, dass ich es noch nicht geschafft habe, aber ich komme jedes Mal ein kleines Stückchen weiter und deshalb bin ich schon total gespannt auf die Fortsetzung.

    Antworten
    • Hallo Diana,
      dafür muss es ja einen Grund geben, wieso man sich an seinem Ziel wähnt und es dann doch nicht so ist.

      Gruß, Markus

      Antworten
    • Hallo Martin,
      Kann man Personen ihre (für mich schlechte Taten) verzeihen und dennoch danach die Entscheidung treffen, nicht weiter mit ihnen zusammen sein zu wollen? Ich vertraue in Gott und bin der Überzeugung, dass sich jeder irgendwann für sein Handeln verantworten muss, also differiere ich klar, dass die schlechte Tat nicht meine ist. Gleichzeitig weiß ich auch, dass der ‚Umgang die Menschen formt‘ also beeinflusst und ich treffe dann die Entscheidung, dass solche Verhaltensweisen auf keinen Fall so nach und nach auf mich abfärben sollen oder ich diese mit der Zeit sogar toleriere (so wie man nach 3Monaten automatisch betriebsblind wird). Deshalb wähle ich dann die Distanz oder Kontaktabbruch. Es versteht sich, dass es sehr krasse Themen sein müssen, die nicht in mein Weltbild oder meine persönliche Ethik passen. Aber ich wünsche den Personen nichts Schlechtes o.ä.
      Ist das dann verziehen oder Festhalten?

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  4. Lieber Martin, ich bin äußerst gespannt, was uns Deine innere Stimme noch detaillierter über das Vergeben erzählen wird! Befinde mich gerade im Krankenhaus, werde morgen am frühen Vormittag operiert; freue mich aber jetzt schon auf’s Weiterlesen.
    Mit liebem Gruß aus Kärnten, Barbara

    Antworten
  5. lieber martin sehr spannend denn ich denke jeder hat schon mal etwas zu verzeihen gehabt und wahrscheinlich sogar sich selbst bin gespannt wies weitergeht

    Antworten
  6. Das Vergeben ist ein wichtiges Mittel für uns alle, das Leben zu verbessern. Wenn etwas für mich Schreckliches im Aussen passiert ist, möchte ich vor allem die Frage stellen, was das für das gesamte Leben aller Menschen usw. bedeutet. Man könnte drauf vertrauen, dass es Sinn hatte. Manchmal eröffnet dieser sich später, manchmal nicht.

    Bin schon neugierig auf die 4 Stufen.

    Antworten
    • wow, bereits die erste Einheit bringt mich zum grübeln…..Ganz allgemein, wie „man“ Erlebnisse abspeichert. Jetzt verstehe ich, warum manche Erlebnisse so stark verankert sind und eine Auflösung sich schwierig erweist. Vielen Dank für diesen Impuls, bin schon gespannt auf die nächsten zwei Interviews.

      Antworten
  7. Lieber Martin,
    Das klingt wirklich komplex und für mich gehört sich selbst verzeihen auch dazu.
    Ich bin gespannt wie es weiter geht.

    Antworten
  8. Vor allem das sich selbst verzeihen können, ist der erste wichtigste Schritt.
    Denn bei jedem Beschuldigen eines Anderen, schwingt eine Eigenbeschuldigung mit. Nämlich daß man nicht imstande war, dieses eigene Verletzt-werden zu verhindern !

    Antworten
    • Eine sehr weise Betrachtung und ein wichtiger Hinweis, liebe Elvira. Vielen Dank dafür!

      Antworten
  9. Hallo Martin, ein ganz spannendes Thema was du hier ausgesucht hast.
    In erster Linie würde ich auch sagen , dass die Selbstverzeihung sehr wichtig ist . Wenn ich mir selbst nicht verzeihen kann, tue ich mir bei Anderen noch schwerer. Bei diesem Thema muss man ganz klar sich selbst betrachten . Warum kann ich nicht verzeihen ? Was für Gefühle hegen sich in mir? Weiche Werte sind verletzt worden? Wie würde ich mich fühlen wenn ich verzeihen würde?
    Ich bin gespannt , was in Teil 2 kommt.

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