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Interview mit meiner Inneren Stimme #9: Die Kunst zu vergeben (Teil 3 von 3)

Autor

Martin

Datum

21 Mai 2023

Kategorien

Nachdem wir in Teil 1 die Vorgeschichte zum Verzeihen untersucht und dann in Teil 2 die ersten beiden Stufen des Vergebens erkundet haben (Fühlen und Verstehen), geht es in diesem dritten Teil um die letzten beiden Stufen: Verzeihen und Versöhnen.

Innere Stimme: Eine der größten Herausforderungen, die mit der Vergebung einhergeht, ist die Erfahrung, das Opfer von Umständen zu sein, die man weder herbeigerufen, noch verursacht hat – und die sich zumindest zu Anfang oft der eigenen Steuerung und Kontrolle entziehen. 

Das Kind, das in einem lieblosen Zuhause aufwächst und sich täglichen Demütigungen ausgesetzt sieht, der Familienvater, der seine Stelle verliert und nun nicht mehr weiß, wie er seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen soll oder der angehende Profisportler, dessen Fußgelenk so unglücklich bricht, das seine Karriere beendet ist, bevor sie begonnen hat – sie alle gehen durch eine Erfahrung, in der sie sich nicht als Urheber, sondern als Leidtragende erleben.

Wut, Hilflosigkeit oder auch Verbitterung sind die nur allzu natürlichen Folgen einer solchen Erfahrung. Wer das leugnen wollte, weiß nicht, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Denn in jedem von Euch ist der Drang angelegt, Herr oder Frau des eigenen Lebens zu sein.

Darum lautet die alles entscheidende Frage, wie Ihr mit dem Erlebnis, ein Opfer zu sein, am besten umgehen könnt. Genauer noch, wie Ihr mit der Kränkung Eurer Würde verfahren sollt, denn genau das ist es, was Euch neben all dem weltlichen Schmerz ganz besonders zu schaffen macht. 

Nicht wenige von Euch erleben die Demütigung letztendlich auch als Beweis, dass Euch das Leben selbst nicht zu lieben scheint. Ja, dass es sich – und ich wähle das Wort mit Bedacht – einen Dreck darum schert, wer Ihr seid und wonach Ihr strebt. 

Aber nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein als dieser Gedanke. Das Leben oder Gott oder die Quelle allen Seins schert sich sehr wohl um Euch – aber anders als Ihr denkt. Sie liebt Euch so sehr, dass Sie Euch Erfahrungen schenkt, an denen Ihr zu voller Größe wachsen könnt.

Ich will ja nicht der Bote schlechter Nachrichten sein, aber die Formel, dass Schwierigkeiten, Rückschläge und Schmerz eine Art Training seien, an dem wir erstarken können, geht in meinen Augen nicht so recht auf. Es gibt Millionen Menschen, die aufgegeben haben und ein Leben ohne große Hoffnung führen. Es gibt darüber hinaus viele, die voller Wut sind und deswegen gewalttätig werden. Von denen mal ganz zu schweigen, die sich zu Tode saufen oder sich sonst wie das Leben nehmen.

Innere Stimme: Danke, dass Du die wirklich harten Fakten ansprichst. Ja, Du hast recht: Es gibt Menschen, die an ihren Lebensumständen zerbrechen. Und an genau sie richten sich meine Worte. Gebt nicht auf. Auf Eurem Horizont befindet sich schon jetzt ein Silberstreif, der von einem glücklichen Ende kündet – wenn Ihr bereit seid, die notwendigen Schritte zu gehen.

Welche sollen das sein? Was soll das Kind sagen, das von den Schlägen der Eltern traumatisiert wurde? Was der Familienvater, der die Miete nicht mehr bezahlen kann oder der Sportler, dessen größter Traum wie eine Seifenblase zerplatzt ist? Oder die Mutter, die ihr Kind wegen eines ärztlichen Kunstfehlers verliert? Oder was der politisch Verfolgte, der gefoltert wurde? Was willst Du denen sagen? Kopf hoch, das wird schon?

Wie wahre Stärke entsteht

Innere Stimme: Warum nicht »Kopf hoch«? Tatsächlich wäre das der erste Schritt aus der Misere: Den Kopf hoch zu nehmen und zu sagen: »Ich bin größer als das.«

Was soll das heißen?

Innere Stimme: Wahre Stärke wird nicht in Zeiten geschmiedet, in denen alles nach Plan läuft, sondern in Phasen, in denen Ihr bis in die tiefste Faser Eurer menschlichen Existenz herausgefordert werdet, über Euch selbst hinaus zu wachsen.

Das Kind, das geschlagen wurde, begibt sich vielleicht auf den Weg des Heilers oder der Heilerin – zunächst, um den eigenen Schmerz zu transformieren, später dann, um Andere auf dem Weg der Heilung zu begleiten. So wird dieser Mensch durch eine tiefgreifende Transformation größer als seine Herausforderung. Er übersteigt sie. Man könnte auch sagen, er transzendiert sie.

Der Familienvater, der seine Arbeit verliert, kann die Chance nutzen, um sich weiterzubilden und für einen besseren Job zu qualifizieren. Oder er macht sich selbstständig und verdient nach einiger Zeit ein Vielfaches von dem, was ihm in seiner früheren Stelle zuteil wurde – möglicherweise mit etwas, das sein Herz zum Singen bringt.

Der Sportler, dessen Karriere so abrupt zu Ende geht, kann ebenfalls nach Innen gehen und seine wahre Berufung entdecken. Und die besteht niemals darin, irgendwelche Trophäen zu ergattern, sondern innerliche und äußerliche Drachen zu meistern, um für sich, aber auch für andere ein Elixier zu bergen.

Was für ein Elixier?

Innere Stimme: Das kann eine Gabe oder auch eine Einsicht sein, die Dich und Dein ganzes Leben zu transformieren vermag.

Nimm nur Nelson Mandela oder Mahatma Gandhi: Sie beide sind in einer Zeit der politischen Oppression aufgewachsen, die ihre Gegner mit unnachgiebiger Härte verfolgt und bestraft hat. Beiden ist es gelungen, ihren Hass und ihr Opfergefühl zu überwinden, Ihren Gegnern zu vergeben und in ihre wahre Kraft zurückzukehren. So konnten sie in erheblichem Maße dazu beitragen, dass eine ganze Nation vom Joch ihrer Unterdrücker befreit wurde.

Wobei Gandhis Ruf nicht unbedingt makellos war.

Innere Stimme: Und Mandelas Ruf auch nicht. Wenn Ihr erwartet, dass Eure Helden über jeden moralischen Zweifel erhaben sind, dann stellt ihr an sie unmögliche Ansprüche, denen ihr selbst auch nicht gerecht werden könntet.

Die menschliche Existenz wird geprägt von Widersprüchlichkeiten und Paradoxien, von den erhabensten Gedanken bis zu den niederträchtigsten Gesinnungen – und genau darin liegt auch die wahre Kraft Eurer Erfahrungen. Wenn Ihr akzeptiert, nein, wenn Ihr es feiert, dass Euer Leben aus einer Achterbahnfahrt aus Himmelhochjauchzenden und zu Tode Betrübtem besteht, aus den Gipfeln eines schier unfassbaren Glücksgefühls hinab zu den düsteren Abgründen der Entfremdung und Agonie, dann habt Ihr eine Chance, jedweden Lebensumstand zu überwinden.

Und was sagst Du der Mutter, deren Kind bei einer Operation stirbt, bei der ein Arzt nicht aufgepasst hat? Welches Elixier könnte sie daraus bergen?

Innere Stimme: Ich würde sie fragen, ob sie bereit wäre, ein Kind auf die Welt zu bringen, das in ihr die Erfahrung einer so großen allumfassenden Liebe wecken würde, wie sie sie noch nie in ihrem Leben gekostet hätte. Allerdings sei die Zeit, die sie mit ihrem Kind verbringen könne, begrenzt. Die Erfahrung der Liebe sowie die Erkenntnis, dass sie zu so etwas Großem fähig wäre, würde sie jedoch behalten können. Würde sie Ja zum Geschenk sagen oder sich ihm verweigern?

Wie Du das heilende Elixier birgst

Ok. Ich verstehe, worauf Du hinaus möchtest. Mal angenommen, Du hättest Recht, dass in jeder Erfahrung auch etwas Gutes oder Heilsames zu finden wäre: Wie könnte ich mir das erschließen?

Innere Stimme: Der erste Schritt besteht darin, in die Verantwortung zu gehen. Damit meine ich, dass Du nicht immer wählen kannst, was Dir widerfährt – sei es das Wetter, die größeren Marktgegebenheiten, ein politischer Umschwung oder die Tatsache, dass sich Dein Lebenspartner in einen anderen Menschen verliebt. Verantwortung heißt, wie ich zu betonen nicht müde werde: Auch wenn Du die Umstände nicht herbeigeführt hast, so liegt die Kraft der Wahl, wie Du darauf antwortest, ganz bei Dir.

Nimm die Erfahrung an, das Opfer von Umständen zu sein, die nicht auf Deiner Agenda standen und die doch Deine kostbarsten und bedeutsamsten Pläne durchkreuzen.

Fühle den Schmerz, Stufe 1, und lerne, was es aus der Erfahrung zu lernen gibt, Stufe 2. Und geh dann in Deine Eigen-Macht. 

Wie?

Innere Stimme: Durch das Prinzip von Pronoia! Statt zu denken, dass sich das Leben gegen Dich verschworen hat, was man grob gesagt als Paranoia bezeichnen könnte, geht es bei Pronoia um die Haltung, dass sich das Leben für Dich verschworen hat.

Selbst wenn Du glaubst, dass das Leben nur eine Anhäufung von Zufällen sei und es weder einen Lebensplan geschweige denn eine wohlwollende Kraft gäbe, die Euch Herausforderungen als Geschenk und Chancen für Wachstum darböte, so ist das immer noch ein kluger und vor allem konstruktiver Gedanke. 

Statt den Rückschlag hilflos hinzunehmen oder gar daran zerbrechen, nutzt Du ihn als Chance, noch erfüllter, noch glücklicher und noch erfolgreicher zu werden.

Stell Dir dazu simple Fragen: Wofür kann ich die Erfahrung nutzen? Was kann ich aus ihr Gutes ziehen? Wie kann ich sie als Ausgangspunkt für einen großen Erfolg verwenden? 

Wobei ich mit Erfolg in diesem Fall meine, dass Ihr die Essenz, nach der Ihr im tiefsten Inneren strebt, im echten Leben umgesetzt bekommt.

Was für eine Essenz?

Innere Stimme: Jedem Wunsch, jeder Ambition, jedem Eurer Ziele liegt ein tieferes Begehren zugrunde. Der Gewichtheber setzt sich dem Schmerz seines Trainings aus, um zum Beispiel stärker zu werden oder um eine attraktive Figur zu erlangen. Dahinter steckt bei manchen der Wunsch nach Anerkennung und dahinter wiederum der Drang nach Liebe, die ihn auf tiefster Ebene ermächtigen soll, sich selbst zu lieben. Man könnte also sagen, dass dieser spezielle Gewichtheber nach Selbstliebe trachtet. Und genau darin liegt seine Eigen-Macht. Selbst wenn eine unglückliche Wendung ihn körperlich verstümmeln würde, so könnte er noch immer sich selbst lieben.

Die politisch Verfolgte strebt nach weltlicher Freiheit und will deswegen die Ketten einer politischen Übermacht zerschlagen. Hinter diesem Bestreben steckt bei vielen Menschen der zutiefst menschliche Wunsch, ihr Leben nach eigenem Gusto zu gestalten, um auf tiefster Ebene ihrer Kreativität Ausdruck verleihen zu können. 

Mag also sein, dass das Regime noch eine Weile an der Macht bleibt, und doch kann unsere politisch Verfolgt in allem, was sie tut, auch und gerade in ihrem politischen Protest, jederzeit ihrer Essenz treu bleiben und ihre Kreativität einbringen. Viele große Kunstwerke sind in Zeiten der Unterdrückung entstanden und nicht wenige davon haben soviel Kraft besessen, das sie in den Menschen einen Funken entzündeten, der zu einer mächtigen Flamme aufloderte, die eine Kette von Ereignissen im wahrsten Sinne des Wortes befeuerten, die am Ende  für neue politische Verhältnisse gesorgt haben.

Die Mutter, die ihr Kind verloren hat, kann sich darin erinnern, wie kostbar und süß sich die Liebe zu ihrem Sohn oder zu ihrer Tochter angefühlt hat. Und wie viel Kraft es ihr gegeben hat, einen Teil ihres Lebens dem eines Anderen zu widmen. Das ist die Essenz, die sie antreibt, und sobald sie sich ihrer bewusst wird, ist sie in ihrer Eigen-Macht angekommen. Sie könnte sich jederzeit für ein neues Kind öffnen. Und wenn sie keine eigenen Kinder bekommen könnte oder wollte, stünde ihr immer noch der Weg offen, eine Tagesmutter zu werden oder sich für Waisen zu engagieren. 

Verstehe. In dem ich sozusagen das Gute im Schlechten entdecke, kann der Schmerz gelindert werden.

Innere Stimme: Mehr noch: Er kann dadurch geheilt werden. Wenn es Dir gelingt, eine schlechte Erfahrung in eine gute zu transformieren, gewinnst Du ein Elixier, das vielmehr bewirken kann, als nur einen Schmerz zu lindern.

Zum Ersten wirst Du eine neue Stärke gewinnen. Sobald Du eine wirklich schwierige Erfahrung erfolgreich meisterst, traust Dir in vielen Bereichen Deines Lebens ebenfalls mehr zu. 

All die Ängste, die der Verstand bis dahin konstruiert hatte, um Dich von Deinen Lebenszielen abzuhalten, verblassen und welken dahin. Stattdessen verspürst Du Courage, also die wunderbare Mischung aus Mut und Angst, die Dich umsichtig und doch zielorientiert vorgehen lässt.

Zum Zweiten gewinnst Du Freiheit und Gelassenheit: Auch wenn Dir ein Weg versperrt sein mag, so stehen Dir immer noch tausend andere offen. Jede Verbissenheit, dass Du nur mit dem einen Partner glücklich wirst oder dass Dir nur die eine Karrierechance offen steht, fällt von Dir ab. Gelingt es Dir mit der einen Gelegenheit nicht, wartet bereits schon die nächste auf Dich.

Und zum Dritten bewirkt das Elixier eine Transformation all der Erinnerungen und Informationen, die Du in den Erfahrungsordnern gespeichert hast, von denen im ersten Teil unserer Interviewserie die Rede war. Denn da alle Dateien vernetzt sind, werden sie nach und nach von dem Elixier durchdrungen und ebenfalls transformiert.

Und das alles nur, weil man sich fragt, warum einem etwas Schwieriges geschieht.

Innere Stimme: Nicht ganz. Frage Dich nicht nach dem »Warum«, sondern nach dem »Wofür«.

Was macht das für einen Unterschied?

Innere Stimme: Die Frage, »warum geschieht mir das?«, führt Dich zurück in die Vergangenheit. Die Frage, »wofür kann ich es nutzen?«, fokussiert Dich auf die Gegenwart und Deine Zukunft. Das ist das Erste.

Das Zweite ist, dass Du nicht immer wissen kannst, warum Dir etwas geschieht. Vielleicht gab es Erfahrungen aus früheren Leben, die dazu beigetragen haben. Vielleicht hast Du unbewusst ein Muster Deiner Vorfahren übernommen, das Du ausgelebt hast, ohne es zu ahnen. Es spricht nichts dagegen, Ursachen zu erforschen, aber sei Dir bewusst, dass Deine Suche nicht immer alle Gründe zutage fördern wird.

Das führt mich zum dritten Faktor. Wenn Ihr das Warum wüsstet, beispielsweise eine karmische Ursache, so könnte die Gefahr bestehen, Euch zu dessen Sklaven zu machen. Nach dem Motto: Weil Ihr in einem vergangenen Leben Unheil angerichtet habt, müsst ihr es in dem jetzigen ausgleichen. Ihr müsstet Euch erneut etwas unterordnen, das außerhalb Eures Machtbereichs liegt. Das ist Eurer unwürdig. Ihr seid keine Erfüllungsgehilfen. Ihr seid Schöpfer.

Wenn Du Dich hingegen fragst, wofür Du diese schmerzliche Erfahrung nutzen und was Du daraus Gutes erschaffen kannst, aktivierst Du deine Kreativität. Du bist nicht mehr Erleidender, sondern Erschaffender. 

Kurz: Du kommst in Deine Eigen-Macht. Und genau das entspricht dem Wesen des Verzeihens. 

Die Aktivierung der Eigen-Macht

Wie im zweiten Teil des Interviews bereits dargelegt: Wenn Du andere »zeihst«, wenn Du sie anklagst, dass sie für Dein Unglück verantwortlich sind, verleihst Du ihnen in Deinem Geiste eine Kraft, die ihnen nicht zusteht. 

Im Klartext: Du benutzt Deine schöpferische Kraft dafür, Dich selbst zum Opfer zu machen. Als ob die unangenehmen Erfahrungen, die dem voraus gegangen sind, nicht Unheil genug wären.

Willst Du nun auch noch allen Ernstes Dein weiteres Lebensglück in ihre Hände legen und darauf warten, dass sie sich Deiner erbarmen?

Das haben sie vorher schon nicht getan. Also warum sollten sie es jetzt tun?

Das Warten oder, besser gesagt, die Erwartung, dass jemand kommt, um Dein Unglücksgefühl zu besänftigen oder gar zu heilen, ist bereits per se vollkommen vergeblich. Du bist der Einzige, der für seine Gefühle verantwortlich ist. Niemand sonst. Das ist Dein Hoheitsrecht. Also nutze es auch.

Wenn jemand mir Unrecht antut und ich es dann selbst ausgleiche, kommt dann der Andere nicht ungeschoren davon? Sollte er nicht für den Schaden bezahlen, den er verursacht hat?

Innere Stimme: So denkt der Verstand. 

Wie meinst Du das?

Innere Stimme: Der Verstand ist von Natur aus so angelegt, dass er aufrechnet: »Ich habe Dir 10 Euro gegeben, die Du mir nun schuldest. Mit Zins sind es sogar 11 Euro.«

Ist das schlimm?

Innere Stimme: Keineswegs. Aber es ist wichtig, zwischen materiellen und immateriellen Schäden zu unterscheiden. Wenn jemand eine Vase zerschmettert, entsteht ein Sachschaden, den man mit Geld beziffern und deswegen auf der materiellen Ebene ausgleichen kann. Aber das Leid, das Du Dir antust, weil Du Dich wegen der Angelegenheit grämst, kann kein Geld der Welt ausgleichen. Nur Du.

Oder denk an die Mutter, die wegen des ärztlichen Kunstfehlers eine hohe Entschädigung ausgezahlt bekommt. Sie wird dem Geld selbst gewiss keinen heilenden Trost abgewinnen können. Emotionales wird durch Emotionales geheilt – nicht durch Monetäres.

Aber davon weiß der Verstand nichts. Er fühlt, dass es auch auf der emotionalen Ebene einen Schaden gegeben hat und möchte den beglichen haben. Und er lässt oft auch nicht locker, bis er den Ausgleich bekommen hat.

Wenn das nicht funktioniert, was kann man denn statt dessen machen?

Du beginnst Dir den immateriellen Ausgleich selbst zu erschaffen, indem Du Dich fragst, wie Du das Schlechte für etwas Gutes nutzen kannst. 

Denn spätestens, wenn Du das Gute dann verwirklicht hast, wirst Du zurückschauen und denken: Das ist mir damals furchtbar vorgekommen, aber im Nachhinein betrachtet war es das Beste, was mir passieren konnte. 

Damit wird sich der Verstand am Ende ebenfalls zufrieden geben: Seine Anfangsinvestition mag zwar hoch gewesen sein, aber die Rendite ist dann doch um ein Vielfaches höher ausgefallen.

Stufe 4: Die Versöhnung

Eine letzte Sache noch: Wenn ich den Übeltätern verzeihe, laufe ich dann nicht Gefahr, dass sie es mir noch einmal antun?

Innere Stimme: Damit kommen wir zur Stufe 4, der Versöhnung.

Ob Du jemanden wieder in Dein Leben einlässt oder ob Du die Tür für ihn fortan verschlossen hältst, ist ganz allein Deine Wahl. Niemand kann und sollte Dich zwingen, etwas in Deinem Leben zu erdulden, was Du nicht magst. Es gibt so vieles, was sich Deiner Kontrolle entzieht, aber mit wem Du wie und in welcher Form zusammenlebst, kannst und solltest Du als Erwachsener ganz allein bestimmen.

Es ist deswegen nicht nur Dein Recht, sondern auch Deine Pflicht, sehr genau zu prüfen, ob ein Mensch, der Dir einen Schaden zugefügt hat, noch weiter einen Platz in Deinem Leben einnehmen kann. Und der Schlüssel zu der Entscheidung ist die Reue.

Reue? Das klingt aber sehr nach Sünde. Fehlt nur noch Buße.

Sünde, Reue und Buße

Innere Stimme: Alle Drei sind wundervolle Konzepte.

Sünde besagt, dass Du von der natürlichen Ordnung der Dinge abgewichen bist. Zum Beispiel, wenn Du aus Egoismus jemand anderes übervorteilst, handelst Du dem Prinzip der Einheit zuwider. Weil alles eins ist, hast Du damit dem größeren Ganzen geschadet, dem Du angehörst – und damit auch Dir selbst.

Reue bedeutet, dass Du den Schaden erkennst, den Du angerichtet hast. 

Und Buße heißt, dass Du den Schaden wieder ausgleichst. Bei einem Sachschaden sorgst Du für materiellen Ersatz. Und bei emotionalen Kummer kannst Du Trost und Zuversicht spenden.

Und wenn der Andere nicht will oder nicht mehr da ist?

Innere Stimme: Dann spendest Du es jemand anderem. Da alles eins ist, gibst Du immer auch an das größere Ganze zurück.

Aber lass uns zur Reue eines Anderen zurückkehren. Sie besteht  aus zwei Komponenten: Verstehen und Verändern. 

Wie gesagt bedeutet Reue zunächst, dass jemand versteht, dass sein Verhalten einen anderen geschädigt hat. Manchmal begreift er es sofort, manchmal muss er erst selbst durch eine ähnliche Erfahrung gegangen sein, bis er genügend echtes Mitgefühl aufbringen kann. 

Aber Mitgefühl reicht nicht. Er muss zudem willens und bereit sein, die eigenen Verhaltensweisen nachhaltig zu verändern. Bei kleineren Angewohnheiten kann das schnell geschehen. Aber Verhaltensmuster, die über Jahre oder Jahrzehnte hinweg gezüchtet worden sind, werden nicht von Jetzt auf Gleich transformiert werden können. Selbst wenn es der Übeltäter wollte, wird er Zeit brauchen. 

Das bedeutet nicht, dass Du den Anderen nun aus Deinem Leben ausschließen musst – obwohl das eine Option ist, die Dir zusteht. 

Es ist vollkommen in Ordnung, sogar begrüßenswert, dem Anderen die Chance zu geben, in Deiner Nähe in seine neue Größe hineinwachsen zu dürfen. Aber sei Dir darüber im Klaren, dass es ganz allein in Deiner Verantwortung liegt, Dich vor erneutem Unheil zu schützen. Halte soweit Abstand, dass weiterer Schaden vermieden wird. Bleib skeptisch. Prüfe sein Verhalten mit Argusaugen. Sollte er reale Anzeichen für Verbesserungen zeigen, erweitere mit Bedacht den Spielraum. Aber nur soweit, dass Du einen weiteren Rückfall gut abfedern kannst. 

Wenn es dem Anderen jedoch an Bereitschaft mangelt, sein Verhalten zu ändern oder schlimmer noch, wenn er sein Verhalten nicht mal bereut, dann besteht Deine Aufgabe darin, eine Grenze zu ziehen und dafür zu sorgen, dass er sie einhält.

Auch das ist eine aktive Form der Selbstliebe. So wie das Verzeihen selbst, mit dem Du Dich aus der Last der Verletzungen befreist – und an ihnen sogar heilen kannst.

Verzeihen als Akt der Selbstliebe? Das gefällt mir!

Innere Stimme: Lass mich zum Schluss die 4 Stufen zusammenfassen. 

  • Fühlen: Wenn Du verletzt worden bist, bring Mitgefühl für Dich auf. Spüre den Schmerz. Sei bei ihm. Und nimm ihn nach und nach liebevoll an. 
  • Verstehen: Lerne, was es aus der Erfahrung zu lernen gibt. Was kannst Du das nächste Mal besser machen? 
  • Verzeihen: Ziehe die Bezichtigungen zurück und konzentriere Dich darauf, in Deine Eigen-Macht zu gelangen. Finde heraus, was Du eigentlich für Dich Gutes wolltest (Essenz) und wie Du das Schlechte dafür nutzen kannst, um es zu erreichen. Dadurch kannst Du ein Elixier (Fähigkeit/Einsicht) gewinnen, das nicht nur all die damit zusammenhängenden Erinnerungen transformiert, sondern auch Dein Selbst.
  • Versöhnen: Prüfe, ob Du dem Anderen eine zweite Chance geben möchtest. Voraussetzung dafür sind mindestens Reue und die Bereitschaft des Anderen, es fortan besser zu machen. 

Damit endet das Interview.

Was meinst Du dazu?

7 Kommentare

  1. Hallo Martin

    ich bin tief berührt von den drei Interviews. Ich konnte spüren, wie sich beim lesen was verändert hat. Ich wurde irgendwie ruhiger.

    Danke, Danke, Danke.

    Ruth

    Antworten
  2. Vielen Dank!
    Ein toller Text. Ich konnte soviel lernen und werde bestimmt den Text immer und immer wieder lesen!🥰🙏🏻😘

    Antworten
  3. Diese Aussage „Finde heraus wie Du das Schlechte dafür nutzen kannst, um das Gute zu erreichen.“ ist mir sehr bekannt und das Prinzip dahinter ist auch nachvollziehbar.

    Was mich daran stört, sind diese allerorten zu findenden Beispiele, die in dem Kontext gerne gegeben werden von Lebensentwicklungen, die letzlich in verbesserten äußeren Lebensumständen münden und von wo aus man dann zurückblickend natürlich keine Schwierigkeiten hat, den roten Faden zu sehen und wofür die herausfordernden Zeiten im Kontext dieser speziellen Entwicklung dienlich waren.

    So entsteht dann der Eindruck, dass es bei entsprechender innerer Ausrichtung immer ein „happy end“ geben würde mit Außenerfahrungen, die einen erfüllen und befriedigen.

    Doch es gibt auch andere Seelenplanungen, in denen es nicht primär darum geht, eine Erfahrung von happy end zu machen, sondern um das tiefe Erfahren von schmerzlichen Gefühlen oder nicht wirklich zu verändernden Herausforderungen um damit schlichtweg weichgekocht zu werden, so lange bis von den ursprünglichen Wünschen nicht mehr viel übrig ist.

    Was daraus entsteht ist nicht Erfolg, sondern Mitgefühl, Demut und Hingabe an etwas Höheres nicht selten gekoppelt mit bleibenden herausfordernden Lebensumständen: Eine Transzenden-Erfahrung die gar nicht mal so wenige Menschen in ihrem Leben durchlaufen dürfen.

    Es ist ein typisches Charakteristikum unserer westlichen Gesellschaften, dass Erfolge erzielen immer das „go to“ ist.
    Die Seele schert sich aber nicht um unsere gesellschaftlichen Neigungen, sondern nur um das, was aus ihrer Sicht zu lernen wertvoll und wichtig ist.

    Ich finde es einfach angebracht diesen Aspekt mit einzubeziehen, denn die Menschen bzw. die Seelen sind nicht alle gleich.

    Antworten
    • Inwiefern empfindest Du das als Widerspruch?

      Demut, Mitgefühl und Hingabe sind doch etwas Schönes!

      Problematisch wird’s doch nur, wenn man diese Wachstumschancen negiert. Dann entsteht in der Tat ein Kampf, ein Weichkochen etc, wie Du es nennst.

      Und noch etwas ist mir wichtig: Man sollte den Erfolg, auch den weltlichen Erfolg nicht zugunsten von bspw. Demut, Dankbarkeit oder anderen spirituellen Faktoren abwerten.

      Im Gegenteil: Wir kommen doch als spirituelle Wesen hier hin, um Erfolge und andere weltliche Erfahrungen erleben zu können.

      Nur wenn man zu einseitig wird, klopfen die anderen Themen auch an. Wenn man nur auf Geld, Prestige oder Statussymbole aus ist. Das ist der Seele in der Tat zu flach-

      Aber das Thema »Ausgleich zur Einseitig« gilt auch für spirituelle Menschen, die zwar »erleuchtet« sind, aber ihr normales Leben nicht mehr gebacken bekommen (das gibt es ja leider auch). Ich habe vor einigen Jahren mal eine Frau kennengelernt, die wie Eckhart Tolle in die »Glückseligkeit gefallen« ist – aber nix mehr in ihrem normalen Leben auf die Reihe bekommen hat.

      Die bekommen dann von der Seele Erfahrungen, sich um ihre Rechnungen zu kümmern, sich mal ein paar neue Sachen zum Anziehen zu kaufen etc.

      Lange Rede, kurzer Sinn: Nix ist besser oder schlechter als das andere.

      Und weines Erachtens ist alles, was uns »stört«, ein starker Hinweis für persönliches Wachstum.

      Liebe Grüße

      Martin

      Antworten
      • Lieber Martin, ich empfinde Erfolg nicht als negativ. DAS ist jetzt Deine Interpretation. 🙂

        Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es auch Lebenswege gibt, bei denen Erfolg nicht die primäre Erfahrung ist, weil die Seele es anders geplant hat und dass diese Option bei den Texten, die ich bisher zum Thema „Aus Herausforderungen lernen, um daran zu wachsen“ gelesen habe, nur ganz selten – meist bei den Mystikern – einen Platz hatte. Und das stört mich eben, weil es mir zu einseitig ist.
        Es gibt für die verschiedensten Lebenswege Platz auf dieser Welt und so darf es dafür auch Platz in unserem Denken geben. 🙂
        Danke für Deine Antwort und schöne Feiertage!

        Antworten
      • Ja, genau. Das war mein Eindruck.

        Genauer gesagt hatte ich sogar den Eindruck, als ob es manchen Menschen nicht vergönnt wäre, ein »Happy End« zu erleben.

        Das lag an dieser Aussage: »dass es bei entsprechender innerer Ausrichtung immer ein „happy end“ geben würde mit Außenerfahrungen, die einen erfüllen und befriedigen.«

        Die habe ich ehrlich gesagt immer noch nicht verstanden. Als ob Demut oder Hingabe keine »Happy End« wären, die einen »erfüllen und befriedigen«.

        Aber wahrscheinlich meinst Du, dass nicht jeder zum Millionär wird, nur weil er es sich so wünscht – denn das würde ihn nur noch unglücklicher machen. Wobei Demut oder Hingabe in dem Fall die wahren Glücksbringer für diesen Menschen wären.

        Meintest Du es so?

        Dir auch schöne Feiertage…

        😉

        Martin

        Antworten
  4. Man hat mir Unrecht getan.

    Antworten

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