In den letzten Monaten hat sich meine Einstellung zum Selbstcoaching, aber auch zu den Menschen und zum Leben selbst radikal verändert.
In dem Artikel erzähle ich Dir warum. Und wie Du das für Deine Ziele und Wünsche nutzen kannst – vor allem, wenn sie durch unangenehme Gefühle wie zum Beispiel Hilflosigkeit, Wut oder Angst verhagelt werden.
Ich beginne mal mit dem: Warum…
Der Auslöser war ein profunder Perspektivwechsel. Viel von dem, was ich früher über Veränderungsarbeit in meinen Coaching-Ausbildungen gelernt habe, fußt auf einer vollkommen falschen Voraussetzung.
Welcher?
Erstens, dass etwas nicht mit uns stimmt, das wir zweitens durch (Selbst-)Coaching verändern sollen.
Hier 3 Beispiele:
»Ich bin zu ängstlich und sollte mehr wagen.«
»Ich bin stinksauer, sollte aber achtsamer und liebevoller sein.«
»Ich bin eifersüchtig, aber damit mache ich unsere Partnerschaft kaputt.«
Ich meine: Alle 3 Beispiele sind vom Grundsatz her zum Scheitern verurteilt. Mit der Folge, dass alles beim Alten bleibt – egal wie viel Bücher wir zum Thema lesen oder wie viel Kurse wir besuchen. Wir drehen uns bestenfalls im Kreise.
Warum?
Der Grund ist Widerstand durch Unliebe.
Denn: Gewalt erzeugt Gegengewalt. Wenn wir uns selbst Unliebe antun oder von anderen abbekommen (was im Kern ein aggressiver Akt ist) geht etwas in uns auf Abwehr – und zeigt uns oder den anderen einen Stinkefinger.
Zurecht.
Wenn wir etwas nicht wertschätzen, warum soll es sich ändern?
Das gilt vor allem für Anteile in uns, die schon früh Ablehnung erlebt haben.
Wenn wir als Kinder zum Beispiel gesagt bekommen, wir sollen nicht so laut und frech und aufmüpfig sein, kann es passieren, dass wir diese Seite in uns verdrängen. Sie wird zu einer »Schattenseite« (siehe das »Verlorene Paradies« auf der Big Shift Landkarte).
Dieser Anteil ist aber nicht wegverdrängt. Sondern fristet im Verborgenen noch immer sein Dasein – und er taucht unversehens wieder auf, wenn wir beispielsweise durch Stress, Müdigkeit oder Alkohol die Kontrolle verlieren. Oder wenn uns jemand durch sein Verhalten antriggert (»Herr Meier, werden Sie jetzt nicht frech«) und wir plötzlich aus der Haut fahren.
Wenn wir dann nach Wegen suchen, wie wir unsere »Aggressivität« in den Griff bekommen wollen, wiederholen wir nur das Drama von damals. Wir tun unserem Aggro-Anteil wieder – wie damals – Unliebe an, in dem wir ihn abwerten und zum Gegner deklarieren, der allenfalls nur dann ein Bleiberecht erteilt bekommt, wenn er sich endlich an unsere Erwartungen oder die der Anderen anpasst.
Das kann nicht nur nicht funktionieren. Es macht sogar alles noch schlimmer.
Warum?
Wenn wir von jemand abgelehnt werden, der uns am Herzen liegt, tut das weh. Angst taucht auf, das wir den Anderen verlieren könnten. Und Scham macht sich breit, weil etwas ja mit uns nicht zu stimmen scheint.
Der abgelehnte Anteil wird also automatisch mit einer Menge ungemütlicher Gefühle ausgestattet, die wir möglichst nicht fühlen wollen. Verständlicherweise. Leider fügt das der der Scham und Angst nun auch noch Einsamkeit hinzu.
Andere innere Anteile wie zum Beispiel unser berufliches Ich (das wir zum Beispiel im Job unseren Kunden oder Vorgesetzten zeigen) versuchen, den ungeliebten Anteil zu vertuschen.
So entstehen innerliche Konflikte, die sich früher oder später auch im Äußeren abzeichnen können. Wir ziehen Menschen an, die unsere ungeliebten Seiten entweder ebenfalls ablehnen – oder uns unbewusst widerspiegeln. Wenn wir zum Beispiel mit unserer Aggressivität hadern, haben wir viel zu oft mit Menschen zu tun, die uns deswegen rügen – oder die selbst schnell sauer werden. Wenn uns deswegen der Kamm schwillt, hängen wir in einer Realitätsfalle fest.
Je weniger wir ärgerlich werden wollen, desto mehr bekommen wir es innerlich und äußerlich heimgezahlt, weswegen wir so angestoßen sind, dass wir jetzt erst recht ärgerlich werden.
Hilfe!
Egal wie man es dreht: Das kann nicht funktionieren.
Was ist also die Lösung?
Schluss mit der Ablehnung oder besser gesagt: Liebe Dich, so wie Du bist.
Auch wenn Du mit Deinen ungeliebten Seiten dann und wann Schaden angerichtet haben magst: Nimm sie an. Genau so, wie sie sind. Und zwar: Ohne Erwartungen, dass sie sich ändern. Denn das wäre eine besonders perfide Form der Unliebe: »Hey, ich akzeptiere Dich jetzt so, wie Du bist, damit Du Dich jetzt aber auch wirklich änderst.«
Tatsächlich geht es darum, erstmal einfach »Ja« zu sich sagen. Meine Wut / Hilflosigkeit / Angst etc. gehört zu mir. So bin ich eben – auch.
Seine Wut anzunehmen, heißt übrigens nicht, sie auch auszuleben. Sondern einfach nur zu akzeptieren, das wir in dem dem Augenblick halt so fühlen.
Das verändert die ungeliebte Seite nicht, sondern nimmt erstmal nur den Veränderungsdruck weg. Das entspannt und macht uns locker.
Sobald der bis dato ungeliebte und abgelehnte Anteil merkt, dass wir ihn sehr wohl auch lieben und akzeptieren, wird er: offen für uns.
Und beginnt sich oft (wenn auch nicht immer) von alleine zu ändern. Denn jeder Anteil in uns, selbst der garstigste, will im Kern seinen Frieden.
Beweis gefällig?
Probiere doch mal die »Flower-Technik« aus. Hier ein Auszug:
Hallo Martin!
WOW!
DAS ist genau auch mein Thema gerade!
(war oft sehr aggressiv gewesen!)
DANKE, DANKE, DANKE!!!
DAS hilft mir weiter!
ALLES GUTE DIR
Lieben Gruß
Sevi
PS: Aber gottseidank(!) ziehe ich in Kürze um und die neue schöne Wohnung plus (ungeimpften) Vermieter ist ein ‚Gottes Geschenk‘ für mich und mein neues Leben: nach Trennung von 22-jährigen Beziehung (und Verabschiedung meiner Kindheit mit Misshandlungen), Kündigung, neue Beziehung mit Traum-Mann etc.
Lieber Sevi
Ich freue mich ja so mit dir, dass dein Leben einen so tollen Wandel durchläuft. Es war bestimmt manchmal viel, doch jetzt scheinst du zu ernten, wofür du innerlich und äusserlich eingesetzt hast!
Ich wünsche dir von Herzen alles Gute
Moin Martin
Ja, ganz meine Meinung. Ich drücke es etwas anders aus, doch im Grunde sind wir uns einig. Wir ändern uns nicht, da der Prozess der Veränderung wahnsinnig viel Energie kostet und immer auch Stress erzeugt, wenn wir aus der Burg der Bequemlichkeit heraus treten. Was wir brauchen, ist auf der einen Seite Akzeptanz für unsere ungeliebten Anteile und „schlechten“ d.h. unpassend gewordenen Gewohnheiten. Wenn wir diese Annehmen können, senken wir den Stress in unserem Nervensystem, was uns eine gute Basis schafft, die Veränderung in Gang zu setzen. Auf der anderen Seite verschafft uns unsere Selbstliebe und die Liebe zu unseren Träumen die Kraft und Energie, damit unser Gehirn die Veränderung gut umsetzen kann. Deswegen denke ich, Du bist auf einem guten Weg.
Liebe Grüße
Martin
Lieber Martin,
dieser Artikel ist genaus so toll wie Lieblingsessen, dass man sich auf der Zunge zergehen lässt. 🙂
Ich glaube, die Seite speichere ich mir mal ab, damit ich stante pedes einen Nachschlag holen kann, wann immer Bedarf ist.
Vielen Dank für die wertvolle Erinnerung. Es ist unglaublich, wie schnell man in Stress-Situationen lieblos und ablehnend sich selbst gegenüber reagiert.
Vielleicht kannst Du noch einen Artikel darüber schreiben, wie man resilienter gegenüber Stress wird, damit Selbstakzeptanz leichter geht. 🙂
Sei herzlich bedankt und gedrückt!
Sabine
Diese Woche hatte ich wiedermal viel Gelegenheit, meine Nachgebigkeit anzunehmen. Das Wohlfühlen anderer Menschen höher zu bewerten bei Entscheidungen als meine persönlichen Wünsche und dann aber mit den Entscheidungen unzufrieden sein, ist typisch für mich. Das sind so Schattenseiten, die ich schwer annehmen und loslassen kann. Noch dazu, wenn die anderen mir dann meine Trauer als Verbrechen anrechnen. Dank des Flower-Prozesses gehts mir damit viel besser.
Lieber Martin,
ganz, ganz toll geschrieben. Mit den richtigen Worten und ganzheitlich auf den Punkt gebracht.
Wie aus meiner Seele gesprochen. Vielen Dank.
Antje