Im ersten Teil meiner Reise durch das menschliche Innenleben habe ich über Menschen geschrieben, die von äußerer Gewalt geformt wurden: Soldaten, Rapper, Straßenkinder, Helden mit gebrochenem Innenraum.
Doch dieser Text richtet den Blick auf einen anderen Krieg. Einen, den wir nicht im Fernsehen sehen. Einen, der keine Zeitungen füllt. Einen, der unsichtbar bleibt – außer für die, die ihn täglich kämpfen.
Der Gegner?
Wohnt in uns.
Der innere Mobber
Er hat viele Gesichter.
Er zeigt sich als »Innerer Kritiker«, der uns so hemmungslos zusammenfaltet, dass wir uns danach beschämt am Boden wiederfinden. Ein seelischer Pitbull, der keine Schwäche duldet.
Oder als Angst, die uns übermannt oder überfraut und uns hilflos macht. Oder als Wut, die uns befällt und uns Dinge tun oder sagen lässt, die wir hinterher bereuen.
Der innere Mobber ist eine antagonistische Kraft, ein Feind, ein Gegner, der uns das Leben schwer macht – und dem man oft kaum beikommen kann.
Warum?
Verständnis ist oft Gift für den inneren Mobber
Als Coach habe ich in der Praxis oft erlebt, dass unangehme Gefühle gemildert werden können, in dem man sie liebevoll behandelt. (Siehe Emotio-Prozess)
Aber das funktioniert beim Inneren Mobber meist nicht.
Denn er ist ein Echo alter Machtverhältnisse, entstanden in einer Zeit, in der wir als Kinder keine Chance hatten, uns zu schützen – in der wir lernten, uns selbst kleinzumachen, bevor es jemand anderes tat.
Denn ein Kind, das Beschämung, Spott oder die Launen überforderter Erwachsener ertragen muss, tut irgendwann etwas Geniales und Tragisches zugleich: Es übernimmt den Ton des Täters, um nicht länger völlig ausgeliefert zu sein.
Und genau so übernehmen wir später denselben Ton – nicht, weil wir dumm wären, sondern weil wir überleben wollten.
Unbewusst denken wir:
- «Wenn ich mich zuerst fertig mache, können andere mich weniger treffen.«
- »Wenn ich mit mir hart bin, kann mir keiner mehr wehtun.«
So entsteht ein Täterintrojekt – ein innerer Wachhund mit viel zu großen Zähnen, der Aggression nach innen richtet, um Kontrolle zu erzwingen.
Es ist nicht böse. Nicht krank. Sondern Überlebensintelligenz in Reinform. Ein genialer Schutzmechanismus, der uns jedoch später teuer zu stehen kommt.
Nicht nur, dass uns diese Kräfte das Leben madig machen. Sie reagieren auf Akzeptanz oder ein liebevolles Entgegenkommen mit emotionaler Allergie. Denn: Für sie ist Liebe gefährlich. Sie verwechseln Stärke mit Härte und Kontrolle mit Sicherheit.
Weichheit? Verdächtig.
Verletzlichkeit? Gefährlich.
Und sobald wir versuchen, ihnen mit Mitgefühl zu begegnen, reagieren sie mit der alten Waffe: Spott, Druck oder Wut.
Der erste Schritt zur Heilung
Bevor Mitgefühl möglich wird, braucht es etwas, das wir im Dramaland systematisch verlernt haben: Innere Autorität.
Nicht als Kampf, nicht als Gegenangriff, sondern als klare, ruhige Präsenz.
Unser innerer Mobber muss spüren: »Hier führt jetzt jemand, der nicht einknickt.«
Erst dann kann er sein altes Kampfprogramm herunterfahren.
Innere Autorität beginnt übrigens immer damit, dass wir als Erstes bewusst wahrnehmen, wer da in uns tobt.
Wie?
Auch wenn es Dir vielleicht nicht ganz so einfach fällt, versuch mal, bei einer der nächsten inneren Attacken in die Beobachter-Position zu wechseln.
Genauer: Achte darauf, wie die Stimme klingt.
Ist es deine? Oder die von jemand anders?
Das ist der Punkt, an dem Du vermutlich wahrnimmst, dass die Stimme, die unsere Erfolge klein redet, exakt klingt wie jemand aus unserer Vergangenheit.
Die Stimme eines erschöpften Vaters.
Einer überforderten Mutter.
Eines verächtlichen Lehrers.
Eines Menschen, der selbst keine innere Autorität hatte – und uns deshalb angegriffen hat.
Dieses bewusste Wahrnehmen heilt zwar den Inneren Mobber nicht. Aber Du kannst ihn zum Verstummen bringen.
Wie?
Hör ihm zu und sage dann einfach laut und bestimmt: »Stopp. Lass das.«
Laut ist wichtig, denn sobald wir uns selbst hören, werden andere Teile unseres Gehirns aktiviert, als wenn wir leise in uns flüstern.
Und eine klare Ansage ist wichtig, denn genau das »braucht« der Innere Mobber.
Nicht, weil er runtergeputzt werden muss. Sondern weil er darauf wartet, dass wir endlich (!!!) Verantwortung übernehmen.
Aber bevor ich erkläre, warum, versuch’s selbst.
Die meisten meiner Coachees erleben dann etwas erstaunliches. Die Stimme verstummt. Nicht besiegt. Sondern entwaffnet.
Grenzen ziehen. Und zuhören.
Innere Autorität bedeutet jedoch nicht, dass wir dem Mobber »die Rückzahlung« servieren. Sondern dass wir ihm zuhören, ohne uns von ihm bestimmen zu lassen.
Denn der innere Mobber ist kein Feind. Er ist ein ausgelaugter Wächter, der viel zu lange alleine Dienst geschoben hat. Und wenn wir ihm mit Klarheit statt Angst begegnen, zeigt er uns genau die Stellen, an denen wir ihm endlich die Last abnehmen und Verantwortung für uns übernehmen dürfen.
Also spür in Dich hinein und frage Dich: Was willst Du? Was ist Deine Botschaft?
Die Angst sagt: »Übernimm Verantwortung.«
Die Wut sagt: »Zieh Grenzen.«
Der Kritiker sagt: »Du kannst das besser.«
Alles berechtigte Anliegen. Nur falsch verpackt.
Darum: Grenzen ziehen. Zuhören. Und die Botschaft annehmen, die zu uns dringen wollte.
Das ist natürlich nur ein: Anfang.
Es ist noch viel mehr zu tun, als nur das.
Und dennoch. Es ist ein erster Schritt.
Nicht mehr.
Aber eben auch nicht weniger.








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