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Haftbefehl – Ein Babo im Niemandsland

Autor

Martin

Datum

09 November 2025

Kategorien

Zwei Netflix-Dokumentationen haben mich letzte Woche regelrecht in den Bann gezogen. Die eine handelt von Haftbefehl, einem der bekanntesten Deutschrapper mit türkischen Wurzeln, aufgewachsen in Offenbach.

Die andere folgt US-Soldaten, die aus dem Krieg zurückkehren und versuchen, ihre tiefsitzenden Traumata durch psychedelische Therapie zu heilen.

Zwei Geschichten, zwei Welten, wie sie auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten. Und doch eint sie eine gemeinsame Wahrheit: Was uns zerstört – und was uns heilt.

Ein Fallbeispiel: Haftbefehl zwischen Ruhm und Ruin

Fangen wir mit der Netflix-Doku „Babo – Die Haftbefehl-Story“ an.

An der Oberfläche ein märchenhafter Erfolg: Der Rapper Haftbefehl spielte sich aus der Gosse in den Olymp. Goldene Schallplatten, ausverkaufte Touren, Fan-Huldigungen.

Doch dieser Olymp liegt im Dramaland. Gleich zu Anfang begegnen wir ihm mit aufgedunsenem Gesicht, die Nase zerfressen vom Kokain. Nervös. Fahrig. Getrieben.

Vom Straßensound zum Sprachrohr

Nach ersten Beiträgen auf Samplern veröffentlichte Haftbefehl 2010 sein Debütalbum Azzlack Stereotyp. Mit Kanackişgelang ihm der Durchbruch – und der Song Chabos wissen wer der Babo ist wurde zur Hymne einer Generation.

»Babo« schaffte es 2013 sogar zum Jugendwort des Jahres.

2014 setzte er mit Russisch Roulette neue Maßstäbe im Straßenrap – düster, reflektiert, künstlerisch gereift. Sein Rap ist geprägt von einem unverwechselbaren Akzent und Einflüssen aus kurdischen, türkischen, arabischen und Zaza-Sprachräumen. Seine Texte oszillieren zwischen krimineller Realität, migrantischer Identität und innerer Zerrissenheit – schmerzhaft ehrlich und ohne billige Verklärung.

Soweit die grobgezeichnete Skizze seines Erfolgs.

Kindheit mit Kollateralschaden

Aykut Anhan (Haftbefehl) wächst nahe Offenbach auf. Mit 13 nimmt er zum ersten Mal Kokain. Er lungert in der Straßenszene rum, Drogenverkauf statt Schule.

Als Aykut 14 ist, nimmt sich sein Vater das Leben.

Es folgen Festivals, Fans, Feiern. Drogen. Ein Leben im Taumel. Ein Absturz nach dem anderen. Auftritte, die abgesagt werden müssen. Videodrehs, zu denen er nicht erscheint. Einen Drogenentzug bricht er ab.

Er heiratet zwar und wird Vater. Seine Frau Nina jedoch schildert die private Realität – voller Verantwortung, Kindererziehung, Hoffnung und Einsamkeit. Auf der Bühne ein Star – zuhause oft abwesend.

Der seelische Nebel, den sein Trauma erzeugt, zieht sich durch jede Beziehung wie eine kalte Hand.

Die Netflix-Doku liefert kein Happy End. Am Ende sehen wir den Anfang. Ein gebrochener und von Drogen zerstörter Mann, stammelnd, nur noch ein Schatten seiner selbst.

Haftbefehl als Spiegel

Warum ich darüber schreibe?

Diese Doku ist keine Mitleidsnummer. Sie ist ein Spiegel. Für uns.

Für eine Gesellschaft, die lieber den Soundtrack des Schmerzes konsumiert, statt den Schmerz selbst zu fühlen.

Genauer gesagt: Haftbefehl rappt für all jene, die in einem seelischen Gefängnis sitzen.

Inhaftiert von einer Wunde.

Welche?

Ich kenne Aykut nicht. Aber ich ahne (oder projiziere), was seine Verletzung sein könnte.

Die Vaterwunde – der stille Code im Nervensystem

Die Vaterwunde ist ein tief eingebrannter seelischer Riss – oft unbewusst, aber allgegenwärtig. Sie entsteht, wenn der Vater nicht präsent war: körperlich abwesend, emotional unerreichbar, geistig versteinert oder – wie bei Haftbefehl – durch Suizid verschwunden.

Diese Wunde reißt ein Loch in die Identität. Wer bin ich, wenn der, der mich führen sollte, selbst gefallen ist?

Die Folge ist ein inneres Vakuum, das nach Halt, nach Wert, nach Richtung giert.

Viele – vor allem Männer – füllen dieses Loch mit Rollen: der Kämpfer, der Kontrollierer, der Erfolgreiche, der Rebell, der Versorger. Außen stark. Innen leer.

Ich kenne die Wunde. Habe sie selbst abbekommen.

Doch solange diese Wunde unbewusst bleibt, wirkt sie wie ein unsichtbares Betriebssystem. Sie steuert Beziehungen. Triggert Abgrenzung oder Anpassung. Sie sabotiert Intimität, Erfolg, Selbstwert.

Aber wie heilt man die Wunde? Wie entkommt man dem Gefängnis?

Davon handelt Teil 2: Entlassung.

 

Quellen

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Und das ist eine Szene, bei der ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte:

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Babo – Die Haftbefehl Story, Netflix

»Willst du wirklich, dass ich das zeige?«,,09.11.25, Spiegel.de

 

1 Kommentar

  1. Hallo Martin

    dein Beitrag hat mich berührt. Wir alle tragen Wunden in uns. Ich finde es nicht leicht, sich ihnen zu stellen. Aber dein Artikel macht deutlich, warum es wichtig ist, sich ihnen zu stellen.

    Danke

    Antworten

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